Von W1 zur W800

Text: Winni Scheibe

Die Geschichte der W800 - oder wie Kawasaki zum Motorradbau kam:


Nicht alles, was aus Japan kommt, ist auch wirklich echt "japanisch". Am allerwenigsten die erste 650er Kawasaki W1 aus dem Jahr 1966. Ohne Respekt vor der englischen Motorradbaukunst ist dieser Viertakt-Twin eine "fast" 100prozentige Kopie der legendären 500er BSA A7.
 
Wer heute von japanischen Motorrädern spricht, meint Honda, Yamaha, Suzuki oder Kawasaki. Doch das war längst nicht immer so. Nach dem Zweiten Weltkrieg, Japan lag genau wie Deutschland in Schutt und Asche und der Wiederaufbau war gerade voll im Gang, gab es im Nipponland weit über 100 Motorradhersteller. Sie hatten die für uns schier unaussprechlichen Namen wie Asaki, Bridgestone, Cabton, Meihatsu, Marusho, Meguro, Misima, Rikuo, Riruo, Lilac, Fuji und Gasuden, um hier nur einige zu nennen. Im Prinzip durfte es den Motorradfans in der restlichen Welt allerdings schnuppe sein. Man kannte die Maschinen weder aus der Fachpresse noch von Prospekten, und zu kaufen gab es sie sowieso nicht. An den Export ihrer Feuerstühle dachten die japanischen Hersteller vorerst noch nicht. Zunächst galt es, den eigenen Markt zu versorgen. Die Nachfrage war gewaltig. Und so blieben die Motorräder mit 125, 250, 350 und 500 Kubik im Land der aufgehenden Sonne. Bereits Mitte der fünfziger Jahre betrug die Jahresproduktion über 200.000 Einheiten, Tendenz steigend.
 Welche Motorräder es allerdings in Amerika, England, Italien oder Deutschland gab, war den Japaner dagegen sehr wohl bekannt. Doch zu haben waren sie nicht. Damit die Bevölkerung treu und brav Produkte „Made in Japan“ kaufte, hatte die Regierung in Tokio ein Wirrwarr von Gesetzen, Verordnungen, Einfuhrzöllen und strengen Devisenbestimmungen erlassen. Diese kaum unüberwindbaren Importbarrieren waren Schutz für die eigene Wirtschaft. Allerdings mit einer Ausnahme. Benötigte ein heimischer Hersteller für „Studienzwecke“ dieses oder jenes Modell, entwickelte der Behördenapparat plötzlich eine erstaunliche Aktivität. Nicht selten übernahm das jeweils zuständige Ministerium sogar sämtliche Kosten für die Beschaffung des Objektes.
Der mit Abstand erfolgreichste Mann in der japanischen Motorradindustrie war Soichiro Honda. Mit pfiffigen Mopeds, allen vorweg der „Cub“, eroberte er zunächst den eigenen Markt und später,  jedoch mit einem umfangreichen Modellprogramm, den Weltmarkt. Schon Anfang der 50er Jahre unternahm der agile Firmenboss Geschäftsreisen in die USA und nach Europa. Dort organisierte er die besten Werkzeugmaschinen, die auf dem Markt zu haben waren. Bei diesen „Shoppingtouren“ besuchte Soichiro Honda auch die großen Motorradwerke in den jeweiligen Ländern und ließ sich bis ins kleinste Detail die technischen Finessen erklären. Besonders beeindruckt war Honda-San vom NSU-Werk in Neckarsulm, dem NSU-Rennstall und den hochtourigen DOHC-Rennmotoren des damals weltgrößten Zweiradproduzenten... 

Zweitgrößter japanischer Motorradhersteller hinter Honda war in dieser Zeit Meguro. Eine Firma, die auf eine lange Zweiradtradition zurückblicken konnte. Bereits in den 30er Jahren produzierte das Werk robuste und zuverlässige Motorräder. Beim damaligen Einzylinder-Viertakt-Topmodell war eine enge Verwandtschaft zur englischen 500er Velocette unverkennbar. 

Gleich nach dem Krieg lief die Motorradfertigung bei Meguro wieder an. Auffällig waren weiterhin die technischen Ähnlichkeiten mit den Bikes aus „Good Old England“. Und so wundert es überhaupt nicht, dass der neue 500-Twin K1 „Stamina“, der Ende 1959 auf den Markt kam, ausgerechnet der BSA A7 zum Verwechseln ähnlich war. 


Meguro K1

BSA A7


Und das nicht nur optisch. Genau nach der britischen Motorradbautradition war das Triebwerk aufgebaut. Sogar die technischen Daten schienen abgeschrieben. Die Bohrung betrug 66 mm und der Hub 72,6 mm, woraus sich 497 ccm ergaben. Die Leistung wurde vom japanischen Hersteller mit 33 PS bei 6000/min, das maximale Drehmoment mit 4,1 mkg bei 4000/min und die Höchstgeschwindigkeit mit 155 km/h angegeben. Wie beim BSA-Twin liefen die dicken Kolben im Grauguss-Zylinder parallel auf und ab. Je zwei im Alu-Zylinderkopf hängende Ventile wurden über Kipphebel, Stoßstangen, kurze Stößel und der hinter dem Zylinderblock platzierten Nockenwelle in Bewegung gebracht. Die Steuerung der Nockenwelle sowie der Antrieb für die Zündanlage und des Generators erfolgte auf der rechten Motorseite. Versteckt waren die hierfür benötigten Zahnräder und Lichtmaschinen-Antriebskette hinter einem blankpolierten Steuerdeckel. Die linke Motorseite schmückte ein ebenfalls glänzender Primärkasten aus Aluminium, in dem sich eine Duplexkette und die Mehrscheiben-Kupplung drehte. Zur Minderung der Lastwechselreaktionen war auf dem linken Kurbelwellenende ein federbelasteter Knaggendämpfer installiert. Eine Trockensumpfschmierung versorgte das Triebwerk mit dem lebenswichtigen Öl. Das Vierganggetriebe, wie könnte es anders sein, fristete sein Dasein in einem separaten Gehäuse hinter dem Motorblock. Benötigte die Primärkette einen Tick mehr Spannung, wurde die Verschraubung kurzerhand etwas gelöst und die Schaltbox ein Stück weiter nach hinten verschoben.
Auch der Doppelschleifenrahmen, Federelemente, Schutzbleche, Lampentopf, Tankform, Sitzbank und Speichenräder mit Vollnaben-Trommelbremsen sahen so „echt englisch“ aus, als käme die „K1“ direkt aus Birmingham. Das Gleiche auch bei der Bedienung. Für`s Anlassen gab es nur einen Kickstarter. Zum Gangwechsel musste der Maschinist per rechten Fuß eine Schaltwippe betätigen, das Bremspedal für den Hinterradstopper lag links. Im Prinzip eine freche Kopie. Allerdings keine 100prozentige. Die Meguro-Techniker hatten die BSA A7 nämlich nicht einfach abgekupfert, sondern ihre „K1“ sehr sorgfältig „neu konstruiert“. Die Gehäusehälften waren passgenau gefertigte Gussteile, sodass der Motor tatsächlich „öldicht“ wurde. Statt der britischen „Mischlagerung“ lief die dreiteilige Kurbelwelle in Wälzlagern, die Pleuelfüße in Nadellagern. Für den Zündfunken sorgte eine 12 Volt Batterie-Spulenzündanlage mit Unterbrecherkontakt, die Blinkanlage gehörte zur Standardausstattung. Das „Revolutionäre“ aber waren zweifellos die metrischen Gewinde und Schlüsselweiten. Für die Inspektionsarbeiten brauchten die Fachwerkstätten nicht extra englisches Zollwerkzeug kaufen. In dieser Zeit gab es in Japan an jeder Ecke eine Motorradfirma. Viele Manufakturen bauten allerdings nur Fahrgestelle. Den erforderlichen Motor und alle weiteren Sachen bezog man von Zulieferfirmen. Andere wiederum hatten sich auf die Fertigung von Triebwerken spezialisiert. 

Auch bei Kawasaki, einem mächtigen Industriekonzern, der mit der Produktion von Schiffen, Hochseetankern, Lokomotiven und Flugzeugen groß geworden war, gab es eine Abteilung, in der man Motorradtriebwerke baute. Allerdings nicht, weil bei den Kawasaki-Managern „Motorradblut“ in den Adern floss, sondern als Notlösung. Nach Kriegsende hatten nämlich die alliierten Siegermächte der japanischen Industrie verboten, Flugzeuge zu bauen. Um im Kawa-Werk diese freien Kapazitäten auszulasten, wurden die Produktionsanlagen kurzerhand auf die Herstellung von Zwei- und Viertakt-Motorradaggregaten mit 60, 150 und 250 ccm umgestellt. Für diesen neuen Geschäftszweig hatte das Unternehmen 1952 die Tochter-Firma Meihatsu gegründet. Hauptabnehmer der Einbauaggregate waren Fuji, IMC und Gasuden. Es sollte allerdings nicht ausschließlich beim Bau von Triebwerken bleiben. Kaum zwei Jahre nach der Gründung von Meihatsu fertigte man einen 60 ccm Roller. 1954 folgte das erste Meihatsu Motorrad mit 125 ccm Zweitakt-Triebwerk.
Gemessen an den Aktivitäten des Mutterhauses tauchten die Umsätze von Meihatsu in der jährlichen Bilanz jedoch weit hinter dem Komma auf. Peanuts, wie man heute sagen würde. Kawasaki gehörte bereits damals zu den ganz großen Konzernen in Japan, in der breiten Öffentlichkeit war der Name jedoch kaum bekannt. Diesen Imagemangel wollte man mit einem verstärkten Engagement im Zweiradbereich verändern. Über Motorräder wurde gesprochen und motorsportliche Ereignisse in den Zeitungen abgedruckt. Als Werbeträger waren sie geradezu ideal. Bestes Beispiel hierfür war ja Honda. Jeder im Inselreich kannte diese Firma. 

Um den mühseligen Weg der jahrelangen Entwicklungs- und Testphase abzukürzen, beschloss Meihatsu, alias Kawasaki, Anfang der sechziger Jahre mit Meguro gemeinsame Sache zu machen. In Akashi wurden die beiden Firmen unter einem Dach vereint und produzierten ab dieser Zeit Motorräder von 50 bis 500 ccm. Das Topmodell war besagte K1, die nun die neue Typenbezeichnung K2 und den Kawasaki-Namenszug am Tank trug. 

Meguro K2 ( Prospektfoto)


Als Sonderausführung für den Polizeidienst gab es parallel zunächst die K1P und dann die K2P. Bis 1965 wurden von der 500er „K“-Reihe insgesamt 3925 Maschinen gebaut, wovon 1728 Fahrzeuge die Behörden bekamen.
Großes Vorbild für die einheimischen Motorradhersteller war Honda. Nicht nur, dass Soichiro Honda landauf, landab an jeder Ecke seine Maschinen verkaufte, er exportierte die Fahrzeuge auch in die USA. Ein Markt, dem die Zukunft gehören sollte. Bei Kawasaki roch man ebenfalls das Geschäft und gründete Ende 1964 in Los Angeles eine Werksniederlassung. Wenig später folgte ein Verkaufsbüro in Chicago. Um den amerikanischen Markt „zu erforschen“, exportierten die Manager aus Akashi zunächst das 125er Einzylinder-Zweitakt-Modell. Mit dieser Maschine ließ sich jedoch kein amerikanischer Biker hinter dem Ofen hervorlocken. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten waren Motorräder nämlich keine „Butter und Brot Fahrzeuge“, sondern Hobby,- Spaß,- Freizeit- oder Sportgeräte. Hinzu kam der Prestigewert. Unter 500 Kubik ging nichts. Hoch im Kurs standen die englischen 650er Modelle von BSA und Triumph.
Nun wäre Kawasaki allerdings nicht Kawasaki, würde man sich mit der Situation einfach abfinden. Etwas Superlatives, Einzigartiges und Extravagantes wurde gebraucht. Ein Motorrad, das stärker, schneller und besser als die Fahrzeuge der Konkurrenz war, musste her, - ein Image, das Kawa bis zum heutigen Tag pflegt. Für dieses Vorhaben brauchte sich die Firmenleitung aber nichts Neues einfallen zu lassen, man bediente sich einfach aus der eigenen Modellpalette. Der 500er K2 Motor wurde frisiert und die Fahrzeugoptik geliftet. Um den Hubraum aufzustocken, setzten die Techniker in Akashi den Bohrer an und vergrößerten den Zylinderdurchmesser von 66 auf 74 mm. Bei unverändertem Hub von 72,6 mm kam nach dieser Kur 624 ccm Hubraum heraus. Auch der Zylinderkopf wurde in die Mache genommen. Die Verdichtung erhöhte man von 8,5 auf 8:7 und konnte so die Motorleistung von 33 auf 50 PS steigern.
Optisch und bei einigen Details musste sich die K2 einen Rundumschlag gefallen lassen. Eine Duplex-Trommel mit 200 mm Durchmesser im Vorderrad, schlanke Chromschutzbleche, eine modifizierte Telegabel mit Faltenbälgen über den Standrohren, ein neuer Lampentopf mit eingebautem, kombinierten Tacho-Drehzahlmesser Instrument sowie eine komfortable Sitzbank waren die herausragenden Änderungen. Die frischgebackene 650er bekam den Namen: W1. 




Stolz wie Oskar präsentierten die Firmenbosse ihr neues Topmodell im Oktober 1965. Doch die westliche Fachwelt konnte sich das Schmunzeln kaum verkneifen. Die Ähnlichkeit zur BSA A7 war immer noch zu offensichtlich. Aber nicht nur das. Inzwischen hatte BSA die A7 Modellreihe längst gegen die A65 Generation mit dem neuen Blockmotor ersetzt. Den Kawa Leuten war das aber egal. Ab 1966 stand die W1 erst bei den japanischen und bald darauf bei den amerikanischen Händlern in den Schaufenstern. In Japan wurde sie zum Knüller. Es gab nichts Vergleichbares. Wer mit der W1 unterwegs war, war im wahrsten Sinne des Wortes „King of the Road“. Das Motorrad genoss hohes Ansehen, nicht zuletzt weil auch die Polizei mit der in schneeweiß lackierten W1P ihre Dienstfahrten erledigte. Ganz anders die Situation auf dem US-Markt. Hier holte sich der „Copy-Rider“ Plattfüße. Die amerikanischen Biker waren aufgeweckt genug, um sich kein X für ein U vormachen zu lassen. Nicht nur, dass die 650er Kawa wie ein altes englisches Bike aussah, sie fuhr sich auch so. Der Motor produzierte kräftige Vibrationen, das Fahrwerk war knüppelhart abgestimmt, und hinsichtlich des Handlings waren die echten englischen Maschinen spürbar einfacher zu bewegen. Obendrein war jede aktuelle BSA oder Triumph schneller. Aber das war nicht der wirkliche Ausschlag für den Misserfolg in den Staaten. Die Ansprüche an ein modernes Bike hatten sich hier grundlegend gewandelt. Die „echte Männermaschine“ war nicht mehr der beinharte Donnerbolzen, der sich ausschließlich nur via Kickstarter in Gang bringen ließ und an jeder Ecke repariert werden musste; Was neuerdings zählte, war Komfort, Zuverlässigkeit, seidenweicher Motorlauf und spritzige Beschleunigung. Verantwortlich für diesen Sinneswandel war die Honda CB 72 und CB 450, aber auch die agilen 250er Zweizylinder-Zweitakt-Geschosse von Yamaha und Suzuki. Gegen diese Maschinen wirkte die W1, bei aller Liebe zur Klassik, wie ein Rauhbein. 

Kawasaki erkannte die fatale Fehleinschätzung des US-Marktes und reagierte umgehend. Noch im gleichen Jahr brachte das Werk die A1 Samurai, ein 31 PS starker 250er Zweizylinder-Zweitakt, unters sportbegeisterte Bikervolk. Ihr folgte die 350er Avenger mit 42 PS und Ende 1968 die berühmt-berüchtigte H1 „Mach III“ mit dem 60 PS starken Dreizylinder-Zweitakt- Triebwerk. Auf einmal war der Name Kawasaki in aller Munde. Der junge japanische Motorradhersteller wurde zum Inbegriff agiler Zweitaktmaschinen. Die Samurai, Avenger und Mach III waren fantastische Sportler, mit denen sich locker jeder dicke Hobel verblasen ließ. Es waren rassige "Rennmaschinen mit Straßenzulassung", die haargenau die Träume damaliger Motorradfahrer erfüllten...
Doch zurück zum 650er Poltergeist. Bei uns war der Hamburger Motorradhändler Detlev Louis für den Import zuständig. 1967 bestellte er fünf Maschinen, die sich jedoch nur mit Müh und Not verkaufen ließen. Kein Wunder. Louis wollte für das Nippon-Bike 4830 Mark haben, eine 650er BSA Spitfire mit satten 55 PS kostete aber nur 4650 Mark. Bei der Lady wussten die deutschen Motorradfahrer genau, was auf sie zukommt, von der Kawa hatten sie aber keinen blassen Schimmer. Es gab weder ein organisiertes Händlernetz noch Testberichte in DAS  MOTORRAD. In Japan lief das Geschäft mit der W1 dagegen ganz gut. Auch aus Australien trudelten Bestellungen ein. Bis Ende 1966 ließen sich von der W1 insgesamt 2499 Maschinen an den Mann bringen.

Für das nächste Jahr erhielt sie ihre erste Modellpflege und die Modellbezeichnung W1SS. Die Kawa-Techniker bestückten den Zylinderkopf mit zwei Mikuni-Vergasern vom Typ VM 28, erhöhten die Verdichtung von 8,7 auf 9:1 und spendierten ihr kurze Auspuffrohre. Diese Maßnahmen ließ die Motorleistung des Donnerbolzens auf 53 PS bei 7000/min klettern. Weitere Merkmale der neuen W1SS waren eine quergesteppte Sitzbank und die geänderte hintere Schutzblechhalterung.

Im gleichen Zeitraum kam die W2SS „Commander“ und ab 1968 die W2TT auf den Markt. Diese Maschinen waren sogenannte Exportmaschinen, bei denen die Motorleistung ebenfalls mit 53 PS angegeben wurde. Hier war der Tank nicht mehr seitlich verchromt, sondern zweifarbig lackiert und mit großen Lettern stand der Firmenname Kawasaki auf dem 15 Liter Spritfass. In modernem Design zeigte sich der Lampentopf, direkt darüber waren die beiden Rundinstrumente, Tacho und Drehzahlmesser befestigt. 

Die Auspuffanlage der W2TT sollte den Geschmack der US-Biker ansprechen. Im wunderschönen Bogen verliefen die beiden Krümmer zur linken Motorseite, führten knapp über dem Primärkasten entlang und mündeten in einen gemeinsamen Schalldämpfer. Diese Bauart hatte man scheinbar von der 1967 vorgestellten Honda CL 450 „Scrambler“ abgespickt. Mit der hochverlegten Anlage wollte Honda und jetzt auch Kawasaki der Kundschaft zeigen, dass man mit einem "Scrambler" auf der Straße und im Gelände fahren könne. Heute werden diese „Alleskönner“ als Enduro bezeichnet.
Um das Bezeichnungswirrwarr W1, W1SS, W2SS und W2TT komplett zu machen, folgte 1970 auf die W2SS die W1SA „Grand Touring“.


W2 SS


 Im Prinzip war es kein neues Motorrad, lediglich mit einigen Detailmodifikationen konnte das Bike aufwarten. Leistungs- und Fahrwerksdaten blieben unverändert. Die wichtigste Änderung war aber sicherlich, dass der Schalthebel nun links saß und das Pedal für die Hinterradbremse rechts. Ermöglicht wurde diese Umstellung mittels einer aufwendigen Hebelei für die Gangbetätigung. Neu war die Duplex-Trommelbremse mit Lufthutzen im Speichen-Vorderrad, das Indifferenzrohr zwischen den Auspuffkrümmern, der Tank sowie Tacho, Drehzahlmesser, Blinklampen und Rücklicht. Auf dem Primärdeckel stand jetzt in Großbuchstaben KAWASAKI, der Steuerdeckel war mit einem kleinen Kawasaki-Logo und einem großen W verziert. Bis 1972 war die W1SA im Angebot. Trotz schwindendem Interesse, 1972 ließen sich gerade mal 1744 Maschinen absetzen, legte Kawa für das nächste Jahr noch ein paar Briketts drauf.
Aus der W1SA wurde die W3 „650 SS“. Als letzte „Evolutionsstufe“ in der W-Baureihe erhielt das Bike Instrumente, Tank, Telegabel einschließlich Scheibenbremsanlage und Federbeine von der Z 900 „Z1“.



W3 650 SS



Die Verjüngungskur schien zu wirken. In den nächsten drei Jahren ließen sich immerhin 4430 Bikes an den Mann bringen. Ende 1974 stellte Kawasaki die Produktion der W-Generation ein. Gut zehn Jahre war sie im Angebot und rollte 26289 Mal vom Fertigungsband in Akashi. Abgesehen vom japanischen Markt blieb sie allerdings weitgehend unbekannt. Berühmt wurde Kawasaki durch die H1 „Mach III“ und Z 900 „Z1“.

 DIE Kawasaki W650

Hoch im Kurs standen die dicken Brummer von Indian, Harley-Davidson, BMW, Triumph, BSA und Norton. Japanische Reiskocher hatten auf dem Markt (noch) nichts zu melden. Ihr Moped-Angebot richtete sich vornehmlich an Hausfrauen, Schüler und Studenten. Und damit auch tatsächlich jeder wusste, was damit gemeint war, sangen die Beach Boys den Ohrwurm „Little Honda“. Eine Ausnahme gab es allerdings: die Kawasaki W1. Ein richtiges Bike mit 50 PS starkem 650er Viertakt-Twin. Eine gewisse Ähnlichkeit zur englischen BSA A7 ließ sich leider nicht verleugnen. Auch kein Wunder. Die W1 war nämlich eine perfekte Kopie. Und das nahmen die US-Biker Kawasaki verdammt übel. In den Staaten holte sich der Dampfhammer Plattfüße. Die W1 wurde trotzdem zum Verkaufsknüller, allerdings nur im eigenen Land. In Japan war sie das Überbike schlechthin. Wer eine W1 fuhr, war „King of the Road". Als kleinster japanischer Motorradhersteller hatte Kawasaki 1966 den Mitbewerbern Honda, Yamaha und Suzuki nach dem Motto „stärker, schneller und besser“ gnadenlos gezeigt, wo der Hammer hing. Dieser Firmenphilosophie huldigt das Werk bis auf den heutigen Tag.
Und jetzt plötzlich die W 650? Eine Maschine wie aus den sechziger Jahren. Wer soll das verstehen. Kawasaki selbst jedenfalls am besten. Schon Ende der 80 er Jahre hat man nämlich jede Menge Anfragen mit der Bitte bekommen, man sollte die schönen alten Bikes von früher frisch aufs Band legen. Die erste erfolgreiche Antwort war die Zephyr-Modellreihe, geboren aus der Erinnerung an die legendäre Z 900 „Z1“ von 1972.


W650 von 1999


Der zweite Streich ist nun die W 650, der W1 von 1966 sei Dank. Wer allerdings  aufgewärmte Technik von damals erwartet, wird enttäuscht. Die W 650 ist rundherum eine Neukonstruktion. Mit Königswellenantrieb für die obenliegende Nockenwelle, vier Ventilen pro Zylinder, und damit der Parallelläufer nicht allzu sehr vibriert, mit Ausgleichswelle. Dagegen ist die Optik eine Sensation, so wie früher! Man braucht die W 650 keinem zu erklären. Alle technischen Ausführungen sprechen für sich, sind überschaubar, leicht verständlich. Der luftgekühlte Motor mit besagter Königswelle und Kickstarter, der solide Doppelschleifenrahmen, die klassischen Speichenräder, vorne eine Scheibenbremse, hinten Trommelbremse, ein Tank wie ein Tank zu sein hat und eine praktische Sitzbank für zwei Personen. Eben ein richtiges Motor-Rad. Fast genauso wie damals die Triumph Bonneville, BSA Spitfire oder  Kawasaki W1. Nur mit dem kleinen Unterschied, die W 650 ist Baujahr 1999. Retro-Klassiker wird dieses Bike heute genannt, und damit Erinnerungen an früher mit Absicht geweckt. Jedenfalls bei all denen, die die Sechziger miterlebt haben. 
Alle anderen, die sich jetzt vorstellen können, was damals los war, können mit der W 650 dahin zurück kutschieren. Und hierfür wird der Motor ganz cool per Kickstarter angeworfen, ein-, zweimal Gas gegeben bis er rund läuft, dann lässig der erste Gang eingelegt und ab geht die Post. Burnouts, Wheelies und sensationelle Showeinlagen überlässt der W 650-Treiber der Hypersupersportbike-Fraktion. Man steht über den Dingen. Das Gleiche gilt für unterwegs. Niemandem braucht man etwas vorzumachen oder zu beweisen. Schließlich ist der 50 PS starke Motor so ausgelegt, dass er über genügend „Dampf aus dem Keller“ verfügt.
Gemütliches Dahinbummeln im fünften Gang ist angesagt. Aber auch im Durchzug kann der Twin begeistern. Die rund 200 kg schwere Maschine zieht in jeder Lebenslage kräftig vorwärts.

DIE Kawasaki W800

Autor: Marcus Lacroix

Alles sehr schön Retro also, bis 2006 mit Einführung der Euro 3 Norm das Aus für die vergaserbefeuerte W 650 kam. Die vierzylindrige Zepyhr-Baureihe hatte man schon 2000 beerdigt. Retrofans wurden und werden seitdem vorbildlich von Triumph bedient und über die Jahre schufen die Briten sich den Klassiker- Mythos, der nur entsteht, wenn man Durchhaltevermögen zeigt.
Erfolge anderer kann sich ein typischer Japaner wahrscheinlich nicht lange ansehen und beim Gang durch’s hauseigene Ersatzteillager müssen einem der Kawa-Ingenieure oder Produktplaner schließlich ein paar W 650 Fragmente in die Hand gefallen sein. Ratzfatz waren die komplettiert und auf der Intermot 2010 in Köln präsentierte man stolz die Kawasaki W 800. Ein echter Blickfang, der angesichts der sonstigen Technik-Bolzerei bei Besuchern und Presse gut ankam.


W800 von 2011


Beim ersten Kontakt wirkt die W 800 angenehm zierlich und streng genommen ist sie ja auch „nur” eine 773er. Die W 650 brachte es hingegen auf stramme 675 ccm Hubraum. Stehen die beiden Maschinen nebeneinander, fallen eigentlich nur Details auf, durch die sie sich unterscheiden. Wer auf Blinkiblinki- Chrom und helles Aluminium steht, wird der 800er schon optisch den Vorzug geben. Eine andere Sitzbank, stylischere Instrumente, Hitzeschutz-Blenden auf dem Auspuff, ein paar andere Farbakzente - alles nichts wirklich Bemerkenswertes. Nur die Gemischaufbereitung entlarvt die W 800 auf den ersten Blick. Die Euro 3 Abgasvorschriften erfüllt Kawasaki durch Verwendung einer häßlichen Einspritzanlage. Triumph macht das zwar auch, versteckt diese aber elegant in Pseudo-Vergasergehäusen.
Freude kommt hingegen beim Druck auf den E-Starter auf. Den Kickstarter der W 650 entfiel leider aufgrund der Einspritz- Elektronik. Der knapp langhubige Motor (77 mm Bohrung, 83 mm Hub) springt ohne Chockegefummel an und läuft sofort rund. Bei jedem Wetter und in jeder Umgebung. Das ist Vergasermotoren nicht immer vergönnt. Interessierte Fragen provoziert immer wieder das senkrecht stehende Rohr auf der rechten Motorseite. Technikfans muss man nichts über eine Königswelle erzählen, die haben sofort klassische Jawa, Velocette oder Ducati vor Augen. Allen anderen zur Aufkärung: in dem Rohr läuft eine Welle, die über eine 90-Grad-Umlenkung eine einzelne obenliegende Nockenwelle antreibt. Früher sorgte die „KöWe” für hohe Drehzahlfestigkeit, heute übernimmt den Job für gewöhnlich eine Kette oder ein Zahnriemen. Wirklich Sinn macht die Königswelle an der eher niedrig drehenden Kawa somit nicht, aber sie schaut klasse aus, funktioniert auch langfristig einwandfrei, wie die W 650 bewiesen hat, begeistert die Fans und schadet somit als Alleinstellungsmerkmal im Verkauf nicht.
Magere 48 PS produziert der hübsche Twin bei gesunden 6500 U/min. Von dem Papierwert sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen, auch wenn die Triumph- Retros 20 PS mehr auf die Rolle drücken. Selbst die W 650 bot mit 50 PS zu ihrer Zeit etwas mehr. Im Alltag spielt die Spitzenleistung eine erstaunlich kleine Rolle.

Kawasaki contra Triumph Bonneville - wer war zuerst da ?

Böse Zungen behaupten ja: Kawasaki hätte ihre Ws der Triumph Bonneville nachempfunden. Ich werde mit meiner W immer wieder mit den Worten begrüsst: " ach die W, das ist ja die nachgemachte Bonneville. Fakt jedoch ist, beide haben ihre eigene Geschichte.

Text: Winni Scheibe

1959 wurde die Original Bonneville T120 als leistungsstarke, mit zwei Vergasern bestückte Version des 650 ccm Triumph-Twins vorgestellt. Mit ihrem Namen verweist sie auf Johnny Allens Weltrekordfahrt auf den Salzseen von Bonneville, USA. Der Vollgaspilot hatte im September 1955 mit dem "Devil's Arrow" (Teufelspfeil) oder "Texas Cee-gar" (texanische Zigarre), einer stromlinienförmig verkleideten, Methanol-angetriebenen 650ccm Zweizylinder Triumph eine Höchstgeschwindigkeit von 311 km/h herausgefahren. Die 650er T120 wurde anschließend für Triumph zum echten Hit, besonders in den USA, und ließ sich sehr erfolgreich bis zum Produktionsende 1988, in den letzten Jahren als 750er T140, verkaufen.

Die Bonneville kam erstmals 1959 auf den Markt und wurde schnell zum beliebtesten Triumph-Modell. Im Gegensatz zu der dreijährigen Entwicklungsphase ihres neuen Namensvetters entstand die alte 650ccm Bonneville T120 so hastig, dass man sie nicht mehr in den Triumph-Prospekt für 1959 aufnehmen konnte.
Die klassische Bonneville T120 war hauptsächlich eine leistungsstarke Doppelvergaser-Version der existierenden Triumph T110 Tiger. Tiger und Trophy Modelle waren bereits von leistungsorientierten Fahrern auf Doppelvergaser umgebaut worden, also lag es nahe, dass das Werk ein zusätzliches Modell mit dieser Ausstattung ins Programm aufnahm. 

Und trotzdem war die Entstehung der Bonneville keine reine Formsache. Dieses Modell wurde überwiegend aufgrund der starken Nachfrage durch die Triumph-Importeure in den USA herausgebracht. Amerika war in den späten 50er Jahren der wichtigste Absatzmarkt für Triumph und die Fans forderten ein schnelleres Modell. Triumph-Boss Edward Turner stimmte letztendlich zu und benannte das neue Motorrad Bonneville zur Erinnerung an die Rekordfahrt von Johnny Allen.
In den Marketingunterlagen von 1959 bezeichnete Triumph die neue, 46 PS starke Bonneville als "Das beste Motorrad der Welt". "Mit der Bonneville T120 bekommt man heute die stärkste Leistung bei einem Serienmotorrad," hieß es. "Das ist das Motorrad für den erfahrenen Enthusiasten, der die angebotene Kraftentfaltung schätzen und nutzen kann." 
 Der Lampentopf und die schweren Schutzbleche der ersten T120 Bonneville wurden 1960 nicht mehr verwendet, um ihr einen sportlicheren Touch zu verleihen, und auch der Rahmen wurde überarbeitet.
Obwohl die T120 die von der Bezeichnung her suggerierten 120 mph (193 km/h) Höchstgeschwindigkeit nicht ganz erreichte, war sie doch gut für über 110 mph (177 km/h). Diese Leistung in Verbindung mit der attraktiven Optik, dem niedrigen Gewicht und den guten Handlingseigenschaften begründeten den Erfolg der Bonneville.
Im Laufe der Jahre gab es zahlreiche Änderungen und Verbesserungen, speziell 1963, als der Motor der Bonneville in der sogenannten unit-construction-Bauweise und mit ganz neuem Rahmen gefertigt wurde. Zehn Jahre später wurde der Motor erst auf 725 ccm, dann auf 744 ccm vergrößert und so entstand die Bonneville T140. 1973 war jedoch ein schwieriges Jahr für Triumph, da in diesem Jahr die Arbeiter in Meriden aufgrund von Schließungsgerüchten die Fabrik übernahmen.

Ab 1975 wurde die T140 von der Arbeiter-Kooperative Meriden gebaut, und die Bonneville blieb bis in die 80er Jahre in Produktion. Es gab verschiedene Ausführungen, wie z.B. die Executive Bonneville mit Verkleidung, Top-Box und Gepäcktaschen. Und es gab die Achtventiler TSS. Die Bonneville war das letzte Modell, das von Triumph in Meriden zur Zeit der Werksschließung 1983 gebaut wurde. Selbst dann starb die Bonnie nicht gleich. Von 1985 bis 1988 wurde von LF Harris in Newton Abbot, Devon, noch eine kleine Stückzahl in Lizenz gefertigt.

Von Anfang an wollte Triumph mit der neuen Bonneville eine Maschine mit der zeitlosen Ausstrahlung des alten Modells in Verbindung mit modernster Technologie anbieten. Von der alten Maschine sollte ein authentisches Äußeres, ein Parallel-Twin und so viel wie praktisch möglich das Feeling und der Sound, durch den die Bonneville zur Legende wurde, übernommen werden. Das bedeutete zum Beispiel die Verwendung einer 360° Kurbelwelle und einer Hinterradfederung mit zwei Federbeinen.
Eine der ersten Aufgaben des Entwicklungsteams war zu entscheiden, welches der alten Bonneville-Modelle die Inspiration für das neue Motorrad geben sollte. Das war gar nicht so leicht, da dieses Modell fast drei Jahrzehnte lang gebaut wurde, in denen es zahllose optische und technische Veränderungen gab. Man trifft selten zwei Bonneville-Fans, die sich darüber einig sind, welche nun die beste war! Letztendlich beschloss man, dass die Bonneville T120 Ende der sechziger Jahre den Höhepunkt in der Entwicklung dieses Modells repräsentierte, wobei insbesondere Faktoren wie Leistung, Optik und Marktstatus bewertet wurden. Das neue Motorrad ist diesem Vorgänger nicht nur im Aussehen, sondern auch in Größe und Rahmengeometrie sehr ähnlich.

Zeitplan der Bonneville-Entwicklung

April 1997:
Diskussionen über die Marktchancen eines Twins

Sommer 1997:
Konzept genehmigt; Entwicklungsteams für Fahrwerk und Motor beginnen mit der Arbeit

August 1998:
Erstes 3 D-Modell im Maßstab 1:1 wird vorgestellt. Vorgaben der Abteilungen Verkauf, Marketing und Technik erfolgen

November 1998:
An einem zweiten Modell wird das Ergebnis der Vorgaben begutachtet

Dezember 1998:
Der erste Prototyp des Motors läuft auf dem Prüfstand

März 1999:
Zum ersten Mal läuft der Motor im Fahrwerk; umfangreiche Tests beginnen

Juli 1999:
Sechs Vorserien-Maschinen werden gebaut; vier für Motortests, zwei für Fahrwerktests

September 1999:
Endgültige Begutachtung durch Verkauf und Marketing Teams zur Festlegung der technischen und optischen Spezifikationen für das Serienmodell 

Juli 2000:
Die letzten Tests sind beendet 

September 2000:
Die Bonneville wird auf der Intermot, München, vorgestellt 


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Fazit:

Die Kawasaki W650 Baujahr 1999 war der Triumph Bonneville, die 2000 erschien, also eine Nasenlänge voraus auf den Markt gekommen. 

Sowohl 1959 ( Bonneville T120 und K1 „Stamina“/ später W1) , als auch 1999 bzw. 2000 ( W650 und Bonneville  ) waren beide Hersteller nahezu zeitgleich mit Ihren Machienen auf dem Markt.

Von " nachgemacht" kann also bei beiden Motorrädern nicht die Rede sein.




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